Vorbei sind die Zeiten, als Recruiter ihren Job als administrative Aufgabe betrachten konnten. Es gilt, ein neues Recruiting Mindset zu erwerben. Künftig heißt es, als Brückenbauer zu agieren – zwischen den immer anspruchsvolleren Kandidaten und den Fachabteilungen, die mehr denn je in die RecruitingProzesse einbezogen werden müssen.
Recruiter müssen sich darauf einstellen, dass sich ihre gewohnte Rolle komplett ändern wird. Die traditionelle Recruiting-Praxis, bei der sie von den Fachabteilungen die Stellenanforderungen mitgeteilt bekamen und sie danach die Bewerbungsprozesse administrativ steuerten – von der Stellenausschreibung über die Auswahl der einzuladenden Bewerber bis hin zur Entscheidung über die Stellenbesetzung – funktionieren heute nicht mehr. Statt als Auftragserfüller der Fachabteilungen müssen Recruiter heute als Brückenbauer zwischen extern und intern agieren.
Das alte passive Denkmuster – Recruiter schalten Stellenanzeigen und warten auf eingehende Bewerbungen – muss von einem neuen aktiven Denkmuster abgelöst werden: Recruiter werden aktiv. Sie lassen sich von den Fachabteilungen über die Stellenanforderungen informieren und sprechen potenzielle Bewerber auch direkt an – über alle möglichen Kanäle und bei Events. Das heißt konkret: Recruiter haben Verkaufstalent und verstehen sich auf die Vermarktung von Vakanzen, wie es die klassischen Salesmanager tun. Sie pflegen enge Kontakte zu den Fachbereichen, um als Business-Versteher wirken und deren fachliche und kulturelle Anforderungen gezielt nach außen kommunizieren zu können. Gleichzeitig sind sie nah am Puls der Kandidatenzielgruppen. Sie wissen zudem, dass gutes Recruiting nur in Teamarbeit und im permanenten Austausch mit der Geschäftsleitung und den Fachabteilungen umzusetzen ist.
Was einen guten Recruiter ausmacht
Welche Schlüsselfaktoren machen einen guten und modernen Recruiter aus? Zunächst sind es gute alte Tugenden, die aus Sicht der Kandidaten nach wie vor eine zentrale Rolle spielen: Vertrauen, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Bewerber berichten immer wieder, wie sehr sie es schätzen, wenn Recruiter ihr Wort halten und sich an Termine und Absprachen halten. Die eigentlichen Schlüsselfaktoren, die ich in zahlreichen Gesprächen mit Kandidaten als wesentlich für eine erfolgreiche Personalbeschaffung identifizieren konnte, sind folgende:
Individualität. Wer einen interessanten Kandidaten für das Unternehmen gewinnen will, darf ihn nicht wie eine austauschbare Ressource betrachten, sondern muss ihn als Person wertschätzen. Gute Recruiter verzichten auf Massen-E-Mails und verstehen es stattdessen, eine individuelle Beziehung zur Kandidatin oder zum Kandidaten aufzubauen – und zwar in jeder Phase des Bewerbungsprozesses. Sie stellen Fragen, beobachten und kommunizieren klar, warum sie einen Bewerber für geeignet für eine bestimmte Position halten. Sie hören genau zu und reden deutlich weniger als die Kandidaten. Denn sie wissen: Sie müssen einem Bewerber nicht eine Stelle verkaufen, sondern wollen herausfinden, wie dieser die Position in den kommenden Jahren ausfüllen will. Seine berufliche Vergangenheit ist schon aus dem CV bekannt. Jetzt geht es darum, wie er sich die Zukunft im Unternehmen vorstellt.
Geduld. Gute Kandidaten nehmen nicht einfach das erstbeste Angebot an. Sie lassen sich bei der Jobsuche genügend Zeit, um die richtige Stelle zu finden, die Vor- und Nachteile eines Angebots abzuwägen und unter mehreren Angeboten zu vergleichen. Daher üben gute Recruiter während des Entscheidungsprozesses keinen Druck auf die Kandidaten aus, denn das könnte dazu führen, diese zu verlieren, anstatt sie zu überzeugen. Eines ist gewiss: Sobald sie einem Kandidaten ein attraktives Angebot machen – dabei muss das Gehalt nicht an erster Stelle stehen – wird er sich ernsthaft und langfristig mit dem Unternehmen beschäftigen. Dementsprechend kann es Tage oder Wochen dauern, bis die Entscheidung fällt. Doch auf gute Leute lohnt es sich zu warten.
Networking. Entscheidet sich der Wunschkandidat doch für ein anderes Unternehmen, nehmen das gute Recruiter nicht persönlich und reagieren nicht beleidigt, sondern lassen den Bewerber wissen, dass er jederzeit wieder auf sie zukommen kann. Sie bleiben mit dem Kandidaten in Kontakt und melden sich von Zeit zu Zeit per E-Mail, Messenger oder telefonisch. Denn wer heute einen festen Job hat, kann schon morgen wieder auf der Suche sein. Dann wird er von selbst auf das Unternehmen zukommen. Ähnliches gilt für den Fall, wenn sich im Jobinterview herausstellt, dass ein Bewerber für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet ist. Stimmt die Chemie zwischen ihm und dem Unternehmen, ist der Grundstein für den Cultural Fit bereits gelegt. Es ist gut möglich, dass der Kandidat für eine künftige Vakanz die beste Wahl darstellt. Recruiter, die Kontakte pflegen und über ein gutes Netzwerk verfügen sind unabhängig vom Bewerbermarkt, denn ihre Kandidaten-Pipeline ist immer gefüllt.
Sorgfalt. Gute Recruiter finden Kandidaten, die die zu besetzenden Stellen optimal ausfüllen, und sie wissen, dass dazu nicht nur das Beherrschen bestimmter Programme und gute Abschlüsse gehören. Daher genügt es ihnen nicht, die Bewerbungsunterlagen zu sichten und Kenntnisse abzugleichen, um zu erkennen, ob jemand für eine Vakanz geeignet ist. Sie investieren Zeit und Energie, um die nötigen Recherchen zu betreiben und sich der Qualifikationen, Interessen und persönlichen Stärken zu vergewissern, die einen Bewerber befähigen, die anstehenden Aufgaben optimal zu meistern. Dazu haben sie sich zu Beginn des Recruiting-Prozesses bei der Fachabteilung umfassende Informationen über die Inhalte der zu besetzenden Stelle eingeholt.
Menschenfreundlichkeit. Um mit den Kandidaten einen individuellen, geduldigen, verbindlichen und sorgfältigen Umgang zu pflegen, muss der Recruiter Menschen gegenüber freundlich gesinnt sein. Eine menschenfreundliche Lebenshaltung bewahrt ihn vor Selbstüberschätzung, Überheblichkeit, Unehrlichkeit, Egoismus und mangelnder Wertschätzung und befähigt ihn dazu, Bewerber zu begeistern, Offenheit für ihre Ideen zu zeigen und ihre individuellen Bedürfnisse mit den Erwartungen des Arbeitgebers in Einklang zu bringen. Sie hilft dem Recruiter dabei, sich glaubwürdig in die Lage eines Bewerbers einzufühlen.
Der Recruiter als Jäger und Farmer
Ähnlich wie Vertriebsmitarbeiter müssen moderne Recruiter Jäger und Farmer zugleich sein. Nur wer beide Rollen in sich vereint, kann für eine Steigerung der Abschlussquoten sorgen. Ohne Jagdinstinkt wird ein Recruiter nicht die gesuchten Talente finden. Zudem braucht er Verkaufstalent, um die Kandidaten für die neue Stelle zu begeistern. Er benötigt großes Einfühlungsvermögen, Vertrauenswürdigkeit und die richtige Mischung aus Antrieb, Mut und Überzeugungskraft, um die Talente von den Vorzügen des angebotenen Jobs zu überzeugen. Gleichzeitig muss der moderne Recruiter ein Farmer sein, der Interessenten langfristig begleitet. Auch wenn es nicht gleich zum Vertragsabschluss kommt, bleibt er am Ball und hält mit den Kandidaten Kontakt, indem er sie laufend über die Entwicklung des Unternehmens und neue Vakanzen informiert. Kurzum: Er betreibt ein wirksames Beziehungsmanagement. Dazu gehört auch, dass er abgelehnten Bewerbern offen und ehrlich den Grund für die Absage kommuniziert und auf nichtssagende Standardschreiben verzichtet. Wie wir aus langjähriger Erfahrung in der Personalberatung wissen, werten die Kandidaten dies als Zeichen großer Wertschätzung und nehmen es zum Anlass, in Kontakt mit dem Unternehmen zu bleiben.
Gutes Recruiting ist immer Teamsache
Obwohl die moderne Arbeitswelt stark auf Teamarbeit setzt, sieht es im Recruiting noch anders aus. Welche Kandidaten in die engere Auswahl kommen und letztlich den Zuschlag erhalten, hängt oft von ein oder zwei Personen ab. Wird den Beschäftigten überhaupt gestattet, beim Recruiting ein Wörtchen mitzureden, beschränkt sich ihre Rolle meist auf Mitarbeiterempfehlungen. An den Vorstellungsgesprächen nimmt neben dem HR-Verantwortlichen der Abteilungs- oder Teamleiter teil, aber die künftigen Kollegen bleiben in den meisten Fällen außen vor. Manche Arbeitgeber ermöglichen es den Teams immerhin, potenzielle neue Kollegen bei einem kurzen Rundgang durch die Abteilung in Augenschein zu nehmen. Nach wie vor ist die Personalgewinnung eine Sache der Führungskräfte. Warum Recruiting Teamsache sein sollte, zeigt eine Studie des britischen Behavioural Insights Teams (BIT). Die Studie ging davon aus, dass eine Gruppe viel bessere Entscheidungen trifft als Einzelpersonen, und untersuchte diese Annahme in einer Onlinetestreihe. 398 Teilnehmer mussten dabei aus vier Kandidaten für einen Job denjenigen auswählen, den sie für optimal geeignet hielten. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Möglichkeit einer falschen Entscheidung bei Einzelpersonen signifikant höher liegt als bei einer Gruppe von drei Personen. Schuld an den Fehlurteilen der Einzelpersonen sind laut BIT-Studie die Vorurteile, die jeder in sich trägt – auch wenn sie oft nur unbewusst wirken. Während für manche Menschen nur Absolventen einer bestimmten Universität infrage kommen, schließen andere von vornherein Autodidakten aus. Für den einen ist ein Bewerber zu jung, für den anderen zu alt. Wird die Eignung eines Kandidaten im Team diskutiert, liegt die Wahrscheinlichkeit eines objektiven Urteils deutlich höher. Daher spricht einiges dafür, neue Mitarbeiter über die Hierarchieebenen hinweg und gemeinsam im Team zu rekrutieren. Laut BIT-Studie sind in den meisten Fällen drei Personen ausreichend, um die richtigen Personalentscheidungen zu treffen. Geschlecht und Ausbildungsgrad der Beteiligten haben keinen nennenswerten Einfluss, allerdings urteilen ältere Personen etwas härter als jüngere. Überraschenderweise kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Expertise, die HR mitbringt, für den Entscheidungsprozess nicht relevant ist. Hingegen kann die Entscheidungsfähigkeit einer gut aufgestellten Gruppe kaum überboten werden – vorausgesetzt, diese besteht aus den richtigen Personen. Dabei zählt nicht nur das Fachwissen, sondern auch, wie unabhängig eine Person entscheiden kann und wie viel Einblick sie ins Tagesgeschäft eines Unternehmens hat.
Die Kollegen in die Pflicht nehmen
Damit das Recruiting zur Teamsache wird, ist es unerlässlich, die Kollegen in den Fachbereichen verstärkt in die Verantwortung zu nehmen. Dazu gehört im ersten Schritt, die Stellenanforderungen gemeinsam mit den Fachabteilungen auf den Punkt zu bringen und konkrete Stelleninhalte und Wettbewerbsargumente zu erarbeiten. Denn nur so können die begehrten Fachkräfte davon überzeugt werden, dass die Tätigkeit und der Arbeitgeber für sie richtig sind. Im zweiten Schritt gilt es, die Ziele des Teams, in dem eine offene Stelle zu besetzen ist, herauszustellen: Wohin will sich das Team in den kommenden Jahren entwickeln und welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für die Mitarbeiter? Statt mit Allgemeinplätzen wie „gute Karrierechancen“ zu werben, kann das Recruiting klar und deutlich sagen, was einen Neueinsteiger erwartet. Wird die Sichtung der Bewerbungen als Teamaufgabe angesehen, müssen im dritten Schritt mit den Fachabteilungen verbindliche Feedbackfristen vereinbart werden. Denn häufig verzögert sich der Recruiting-Prozess durch zu lange dauernde Rückmeldungen aus der Fachabteilung. Deshalb sollten diese nicht mehr als zwei Werktage für eine erste Rückmeldung auf eingegangene Bewerbungsunterlagen eingeräumt bekommen. Im vierten Schritt sollte HR mit der Fachabteilung fixe Recruiting Days vereinbaren, um die Terminfindung für Vorstellungsgespräche zu vereinfachen und um weitere Verzögerungen zu vermeiden. Damit Vorstellungsgespräche spätestens acht Werktage nach Bewerbungseingang beginnen können, bietet es sich an, beispielsweise jeden Freitag für anstehende Termine zu blocken. Der Recruiter der Zukunft ist spezialisiert und fokussiert Der steigende Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter konfrontiert einen Recruiter ständig mit neuen Aufgaben und Herausforderungen. Um sich nicht zu verschleißen, sollte sich jeder Recruiter folgende Fragen stellen, bevor er eine neue Tätigkeit übernimmt:
- Unterstützt die neue Tätigkeit die Recruiting-Ziele meines Unternehmens tatsächlich?
- Kenne ich die Recruiting-Ziele meines Unternehmens überhaupt?
- Kann ich die neue Aufgabe eigenständig erledigen oder bin ich dabei von den Entscheidungen anderer Mitarbeiter abhängig?
- Übernehme ich damit Aufgaben, die eigentlich anderen Mitarbeiter zu erledigen hätten?
Wer diese Fragen nicht hinreichend beantworten kann und sowieso schon eine überbordende To-do-Liste hat, sollte eine Gewichtung seiner vielen Aufgaben vornehmen – und zwar in Absprache mit der Geschäftsleitung. Denn wer versucht, weiterhin alle Aufgaben aus einer Hand zu erledigen, ohne Spezialisierung und Fokussierung auf die wichtigsten Themen, wird scheitern. Es gilt daher, sich von unwichtigen Aufgaben zu trennen, Spezialisten rollen für bestimmte Recruiting-Themen zu etablieren und die aktive Unterstützung der Fachabteilung anzufordern.
Tools unterstützen die Recruiter, aber sie ersetzen sie nicht
Immer wieder wird diskutiert, ob der Job des Recruiters durch moderne Auswahl- und Analysetools nicht „wegdigitalisiert“ wird. Doch bei aller Digitalisierung gilt: Nichts bleibt wichtiger als der persönliche Kontakt zum Kandidaten. Kein Tool der Welt wird diesen Kontakt komplett ersetzen können. Was sich allerdings verändern wird, ist die Art und Weise, wie ein Recruiter an die persönlichen Kontakte kommt. Es wird seine Aufgabe sein, die Analysewerkzeuge zu bedienen, ihnen Kriterien für eine optimale Kandidatenauswahl vorzugeben und die Ergebnisse auszuwerten. Schon heute spielen KPIs wie „Time-to-Hire“ oder „Cost-perHire“ eine große Rolle im Recruiting, doch wird in Zukunft ein noch größerer Schwerpunkt auf den richtigen Kennzahlen liegen. Mithilfe von IT-gestützten Analysetools muss ein HR-Manager den wachsenden Big-Data-Dschungel nicht mehr händisch durchsuchen. Er kann sich stattdessen darauf konzentrieren, die Analyseergebnisse auszuwerten, die Effizienz der Recruiting -Prozesse zu steigern und den direkten Kontakt zu den Kandidaten zu pflegen. Dies schließt aber aus, dass der Job eines Recruiters wegdigitalisiert wird. Natürlich verändert sich sein Aufgabengebiet. Ohnehin wäre es naiv zu glauben, ein HR-Manager könnte jahrzehntelang immer denselben Tätigkeiten nachgehen. Im Zuge des digitalen Wandels vollziehen sich diese Veränderungen lediglich in schnellerem Tempo. Für den Recruiter überwiegen dabei die Vorteile: Er kann sich mehr denn je auf den persönlichen Kontakt zu den Kandidaten konzentrieren. Das war früher, ist heute und wird auch morgen der wichtigste Teil seiner Arbeit sein.