#
Juli 27, 2020

Erfahrungsbericht: Warum das Personalmanagement im Hotel- und Gastgewerbe das härteste ist

  • Personalbindung nahezu unmöglich?
  • Personalgewinnung – der Kampf mit den ganz harten Bandagen
  • Echt jetzt – lessons learned?

 Ich wollte es mal wieder wissen und habe noch vor Covid-19 ein Praktikum als Recruiter im Hotel- und Gastgewerbe absolviert. Was ich dabei gelernt habe und was ich daraus resultierend Unternehmen aus anderen Branchen rate, erfährst du direkt in diesem Artikel. Viel Spaß und lass dich überraschen.

Personalbindung nahezu unmöglich? 

Sobald einem Mitarbeiter etwas nicht gepasst hat, hat er schwuppdiwupp gekündigt. Meist konnte er aus fünf passenden Jobangeboten im Umkreis von nur wenigen Kollegen eine neue Arbeit wählen. „So erging es meinem 5-Sterne-Hotelbetrieb noch vor 3 Jahren, bis wir uns mit dieser Situation einfach nicht mehr abfinden konnten und wollten“, erzählt mir in meinen ersten Tagen Franz M., der Inhaber und Arbeitgeber von über 450 Mitarbeitern. „Selbstverständlich haben wir eine hohe Fluktuation in unserer Branche, doch sobald wir erkannt haben, dass wir selbst die Verantwortung dafür übernehmen müssen – und ich spreche von aktiv übernehmen -, sind wir aus dem Spiel der Ausreden wie z. B. Rahmenbedingungen, Branchenzahlen und der Floskel ‚das ist halt so‘ ausgestiegen!“

Franz, erkläre mir bitte genau, wie du das gemacht hast?

Es ist doch ganz einfach: Wenn du einen großen Teil deiner Zeit damit zubringst, Mitarbeiter zu finden, einzuarbeiten, zu suchen, zu finden, einzuarbeiten – dann passt doch das ganze System nicht, oder? Wir haben als erstes eine Entscheidung getroffen, nämlich dieses Spiel zu beenden und aus diesem Rad auszusteigen! Danach haben wir folgende Punkte umgesetzt:

  1. Mitarbeiter müssen sich bei uns wohl fühlen, dann bleiben Sie länger! In Einzelgesprächen und moderierten Workshops haben wir mit den Mitarbeitern herausgearbeitet, was für die Bindung an unser Hotel wichtig ist. Mein Tipp: Wirklich mit den Leuten sprechen, denn die Motivatoren sind individuell und ich wäre auf die meisten Punkte ehrlich gesagt nicht gekommen! Tippen und Raten kannst du hier vergessen.
  2. Radikales und schnelles Umsetzen der erarbeiteten und geforderten Punkte. Beispielsweise für den top geschulten Mitarbeiter ein modernes Familienwohnhaus als Unterkunft mit Wäscheservice anmieten, die Umsetzung einer 4-Tage-Woche usw.
  3. Job Rotation. Mitarbeiter wollen nicht drei Jahre denselben Job machen – mache ihnen jedes Jahr ein Weiterentwicklungsangebot! Biete du ihnen als Arbeitgeber aktiv etwas an und warte nicht darauf, dass die Mitarbeiter zu dir kommen. Meist sind sie da schon so frustriert, dass es zu spät ist.

„Frank, wichtig ist, dass wir hier am Ball bleiben. Wir sprechen hier nicht von einem einmaligen Prozess, sondern von einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Hier gewinnen alle Parteien: Kunden (Gäste), Mitarbeiter und ich als Arbeitgeber! Dieser große Aufwand lohnt sich, denn zufriedene Mitarbeiter arbeiten besser und bleiben länger bei uns. So einfach ist das.“

 

Personalgewinnung – der Kampf mit den ganz harten Bandagen 

Ich stelle schon nach wenigen Stunden fest, dass hier mit den ganz harten Bandagen gekämpft wird, da ist das Ringen um IT Experten noch milde. Im Hotel- und Gastgewerbe befinden wir uns im Arbeitnehmermarkt und das wissen alle Teilnehmer. Diese verhalten sich auch so, sonst haben die Hotels einfach keine Chance, Mitarbeiter zu finden – vom passenden Personal sprechen hier die wenigsten. Folgende Maxime ist hier elementar wichtig:

  1. Branchenfremde anwerben und ausbilden – ein Muss
  2. Deutsch als Muttersprache – kein Muss    (wir bieten Sprachkurse vor dem Start an)
  3. Wir bieten das Maximum an Benefits und flexiblen Arbeitsmodellen – ein Muss
    1. Kost und Logis frei
    2. 4-Tage-Woche kein Problem
    3. Weiterentwicklung bzw. ein neues Aufgabenfeld jährlich möglich
    4. Ausbildung zum Sommelier oder Restaurantleiter bezahlen wir
    5. Umzug – kein Thema, bezahlen wir!

Noch Fragen, meine Damen und Herren? Klar, die können sich das als 5-Sterne-Schuppen leisten, sagen Sie, die machen ja auch richtig Geld! Wirklich, liebe Leserinnen und Leser, und Wirtschaftsunternehmen können das nicht bieten? Sind Sie sich sicher? Franz M. hat es uns vorgemacht und sagt ganz klar: „Wir haben als erstes die klare Entscheidung getroffen, aus diesem belastenden Hamsterrad auszusteigen – sonst ändert sich nichts!“

 

Echt jetzt – Lessons learned? 

„Konntest du einen Einblick in unser „Personalmanagement“ gewinnen, Frank?“, fragt mich der Inhaber Franz M. nach 10 Tagen Aufenthalt im Unternehmen. Ich bejahe seine Frage und bin zugleich nachdenklich gestimmt. „Ihr betreibt hier einen unbeschreiblichen zeitlichen und kostenintensiven Aufwand, um die Leute zu gewinnen und zu halten – das beeindruckt mich zutiefst und verwundert mich noch mehr! Rechnet sich das denn für dich und dein Unternehmen, Franz?“ Der Inhaber schaut mich an und antwortet mir relativ einsilbig. „Gibt es Alternativen, Frank – unsere Mitarbeiter sind die Seele und das Herz unseres Unternehmens – könnte es eine bessere Investition geben? Ist das in der IT Branche nicht auch so, Frank?“

Fazit:

Ich bin beeindruckt, begeistert und auch geschockt – irgendwie alles zugleich: Eine relativ kleine Firma mit 450 Mitarbeitern investiert beispielhaft in das „Herz und die Seele“ des Unternehmens, nämlich in seine Mitarbeiter – wunderbar, denke ich mir. Warum machen wir das nicht auch in voller Konsequenz in der Wirtschaft? Warum reden wir oft mehr als wir handeln? Mit diesen und weiteren Gedanken beende ich mein Praktikum im Personalmanagement im Hotel- und Gastgewerbe.

Hier gehts zum Free Webinar – https://neue-recruitingmodelle.com/webinar