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Dezember 17, 2017

„Kulturziele entwickeln, die von allen gelebt werden”

Experten für Bits und Bytes können sich die Jobs aussuchen. Buchautor Frank Rechsteiner erläutert, warum gerade IT-Unternehmen ihre Kultur nicht vernachlässigen dürfen.

Personalwirtschaft Interview vom 15.12.2017

 Personalwirtschaft: Herr Rechsteiner, Ihr Buch über kulturbasiertes IT-Recruiting trägt den Untertitel „Warum Headhunter für Ihre Unternehmen überflüssig sind”. Sie selbst arbeiten als Personalberater. Wollen Sie sich etwa Ihrer Geschäftsgrundlage berauben?

Frank Rechsteiner: Keineswegs. Suchaufträge für Entscheidungskräfte und besonders umworbene IT-Experten im SAP-Umfeld, auf die ich mich bei der Arbeit konzentriere, stehen nicht zur Disposition. Mein Anliegen ist vielmehr, Unternehmen zu überzeugen, allein auf Grundlage ihrer ureigenen Kultur authentisch auf Kandidaten zugehen zu können. 

Sie behaupten, wer erfolgreich kulturbasiertes IT-Recruiting betreibt, könne sich 90 Prozent der Aufträge an Headhunter sparen. Was ist der springende Punkt?

IT-Unternehmen stecken in der Bredouille. Der Auftragseingang floriert, doch es mangelt an Fachkräften. Um Vakanzen so schnell wie möglich zu besetzen, auch weil die eigenen Rekrutierungsansätze kaum fruchten, überantwortet man die Personalsuche dem Headhunter. Mit dessen Unterstützung angeheuerte IT-Spezialisten fühlen sich häufig im neuen beruflichen Umfeld nicht wohl. An den Skills liegt es nicht, eher an der Stimmung, am Ton und Zwischenmenschlichen.

Sie werfen also Unternehmen vor, den Kandidaten ein irriges Bild zu vermitteln, wie es im Betrieb tatsächlich zugeht. Ungeachtet der Frage, warum Entscheidungsträger ein hohes Risiko eingehen, Experten teuer einzukaufen und rasch wieder zu verlieren – wieso streuen sie ihnen überhaupt Sand in die Augen?

Ehrlichkeit ist Mangelware in der Personalwerbung. Stattdessen baut man Luftschlösser auf, niemand möchte sich unter Wert verkaufen.

Noch schlimmer: Unternehmen geben sich beim Werben um Fachkräfte nicht sonderlich Mühe. Stellenanzeigen – ein schreckliches Einerlei. So wird die große Chance vertan, sich aus dem Mainstream abzuheben.

Worin liegt solche Nachlässigkeit begründet?

HR-Themen wie das Recruiting haben prinzipiell nicht Vorrang. Priorität haben in IT-Unternehmen stets Belange des Business, was auch mit dem hohen Entwicklungs- und Veränderungstempo der IT-Branche zu erklären ist. Der wichtige Einfluss von Kultur aufs Business wird noch nicht hinreichend erkannt.

Bleiben wir bei der Kultur. Sie sind davon überzeugt, dass ein kulturell stimmiges Recruiting viele Probleme lösen kann. Kennen Unternehmen eigentlich ihre Kultur?

In der Tat ist erschreckend anzusehen, wie viele IT-Unternehmen Kulturfragen ignorieren. Studien wie die von Gallup zeigen anschaulich, dass die Voraussetzungen dafür fehlen, dass sich Beschäftigte im Job engagieren, leistungs- und bindungsbereit sind. „Culture eats strategy for breakfast” – das hat Peter Drucker schon vor zwanzig Jahren gesagt. Umgekehrt sinken Fehlzeiten und steigt die Produktivität, wo man Kultur ernst nimmt. Studien zufolge erwirtschaften Firmen, deren Mitarbeiter gern zur Arbeit kommen, fünfmal mehr Umsatz.

In Fragen der Kultur gibt es ja unterschiedliche Auffassungen. Meist bleibt es bei einmal definierten Leitbildern, deren Wirksamkeit im Alltag verpufft. Orientierung gibt man Führungskräften und Mitarbeitern damit nicht. Wie macht man es besser?

In einem Workshop mit einem IT-Dienstleister, an dem neben dem IT-Team auch HR teilnahm, ging es um den Aufbau eines authentischen Recruitings. In Interviews mit den Teammitgliedern wollten wir herausfinden, wie es im Tagesgeschäft wirklich zugeht, was also von neuen Mitarbeitern tatsächlich erwartet wird. Daraus entwickelten wir neue Kulturziele, die von allen Teammitgliedern getragen und gelebt werden. Das schafft Vertrauen. 

Wie man miteinander umgeht und welche Werte man dabei teilt, diese „DNA” sollten Management und Führungskräfte vorleben. Worauf kommt es an, um auch im Kontakt zu Kandidaten einen authentischen Eindruck von der Kultur zu hinterlassen?

Leider haben viele Führungskräfte diese DNA nie beschrieben. Also handeln sie nach Bauchgefühl, was niemand wirklich einschätzen kann. Entscheidungen mangelt es an Verlässlichkeit, sie sind kaum nachvollziehbar. Damit fehlt Mitarbeitern Orientierung. Im Interesse eines authentischen Recruitings muss die DNA gemeinsam ergründet, definiert und beschrieben sowie auf allen Ebenen gelebt werden. Nichts ist schlimmer, als wenn ein Manager im ersten Bewerbungsgespräch das Unternehmen gänzlich anders darstellt als ein weiterer Manager in einem Folgegespräch.

Deshalb empfehle ich dringend Hiring-Culture-Workshops für alle am Recruiting Beteiligten.

Seit wenigen Jahren ist häufig von Cultural Fit die Rede. Offenbar ist eine Übereinstimmung zwischen Arbeitgeber und Bewerber bei kulturellen Prinzipien wichtig. Softwaretools versprechen Personalern, eine solche Übereinstimmung schnell zu erfassen. Empfehlen Sie solche Werkzeuge?

Sie könnten Recruitern durchaus erleichtern, den Cultural Fit zu ermitteln. Es wird ja auch viel gemauschelt in Bewerbungsgesprächen. Ich habe mir die Programme näher angesehen. Leider gehen die meisten von falschen Voraussetzungen aus.

Das müssen Sie uns erläutern.

Die Tools sind durchaus gut gemacht und mögen auch technisch ausgereift sein. Doch sie gehen davon aus, dass es bereits eine definierte Kultur gibt, die mit den Werten des Kandidaten abgeglichen wird. Es wird also nicht unterschieden zwischen Wunsch- und gelebter Kultur: Wie wird im Tagesgeschäft tatsächlich kooperiert und entschieden? Nur auf dieser Basis ist der Einsatz solcher Tools sinnvoll.

Spekuliert wird bereits, solche Programme könnten den Recruiter erübrigen. Seine Aufgaben übernimmt der Teamleiter, der eine Vakanz besetzen muss. Teilen Sie die Einschätzung?

Nein, das ist mir zu eindimensional. Teamleiter sind chronisch überlastet. Ihnen mangelt es an Zeit, Bewerbungsgespräche zu führen. Wichtiger ist, dass HR seine Rolle in der Kooperation mit Teamleitern definiert und somit einen echten Mehrwert im Recruiting-Prozess liefert statt sich etwa auf die Zeugnisanalyse und die Erstellung des Arbeitsvertrags zu beschränken.

Studien zufolge sind Ehrliche und Demütige besonders gut darin, Kunden oder Produkte zu betreuen. Narzissten dagegen eignen sich eher für andere Stellen. Sehen Sie die Gefahr, dass kulturorientiertes Recruiting sich gleichmacherisch über solche Nuancen hinwegsetzt? 

Nein. Ich bin davon überzeugt, dass jedes einzelne Team gewissermaßen seine eigene Kultur besitzt. Jedes einzelne Mitglied hat andere Aufgaben, für deren bestmögliche Erledigung eben verschiedene Eigenschaften nötig sind. Vertriebsteams müssen anders ticken als Entwicklungs- oder Controllingteams. Gleichwohl bewegen sie sich in den Leitplanken, die von der Unternehmenskultur vorgegeben sind. Für eine internationale Unternehmensberatung etwa sind Mitarbeiter wichtig, die offensiv ihre Karriere verfolgen und sich täglich unter Beweis stellen wollen. Da werden schon mal die Ellenbogen ausgefahren. Für ein Softwarehaus, das überwiegend Entwickler benötigt, wäre eine solche Kultur der sichere Tod. Nerds ticken gänzlich anders und würden schnell abspringen.

Abschließende Frage: Wenn sich schon IT-Unternehmen schwertun, Fachkräfte zu gewinnen, wie sollen sich dann erst alle übrigen Firmen aufstellen, um überhaupt an die umworbenen IT-Experten heranzukommen? Schließlich benötigen ja fast alle deren Know-how. Könnte ein kulturbasiertes Recruiting auch ihnen zählbare Vorteile bringen?

In der Tat! Sehr viele Unternehmen benötigen IT-Experten, ihre Zahl wird steigen. Wie kann ein Maschinenbauer aus Oberschwaben für IT-Experten attraktiv sein, wenn er mit SAP, IBM oder Google um solche Fachkräfte konkurriert? Tatsächlich verschafft er sich zählbare Vorteile, sobald er im Recruiting-Prozess seine Vorteile als Arbeitgeber sowie seine künftigen Ziele aus IT-Sicht im Einklang mit seiner kulturellen DNA darstellen kann. Ist ein Maschinenbauer etwa in der Lage, ein lebensphasenorientiertes Arbeitsmodell anzubieten, werden auch IT-Experten sich für ihn interessieren – da bin ich mir ganz sicher.

Quelle: https://www.personalwirtschaft.de/recruiting/artikel/kulturziele-entwickeln-die-von-allen-gelebt-werden.html