Digitalisierung kommt. Eigentlich stecken wir schon lange drin – und das nicht erst seit 2016. Auch in den HR-Fachmedien sind die Möglichkeiten dieser vermeintlich neuen Welt allgegenwärtig. Wie so oft dreht sich die Diskussion jedoch meist um Transformationsprozesse innerhalb der Personalarbeit. Hierbei droht jedoch wieder eine ausschließliche Beschäftigung mit sich selbst, die den Blick auf den Bewerber vergisst.
Dabei bergen gerade die Möglichkeiten der Digitalisierung für Jobsuchende tragen das Potential in sich zu tiefgreifenden Umbrüchen im Recruiting.
Digitalisierung ist nicht nur Unternehmenssache
In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass viele Neuerungen aus der Welt des Digitalen meist im Privaten früher Einzug halten als in den Unternehmen, seien es z.B. Cloud-Dienste oder auch Social Media. Und so werden sich nicht nur Unternehmen, sondern auch Bewerber neuer digitaler Möglichkeiten beim Bewegen auf dem Arbeitsmarkt bedienen.
Was dies zur Folge haben wird, ist eine sich fortsetzende und verstärkende Emanzipation der Kandidaten.
Bewerber in erstarkender Rolle
Getrieben durch vorrangig demografische Faktoren sind Bewerber heute gegenüber potentiellen Arbeitgebern in einer deutlich stärkeren Position als noch vor einigen Jahren. Der verstärkte Einsatz von Employer Branding und Active Sourcing durch Unternehmen ist ein deutlicher Indikator dafür, welchem Wandel der Arbeitgsmarkt unterworfen ist.
Gerade hier könnte eine zunehmende Digitalisierung dieses Rollenbild weiter zugunsten der Kandidaten verschieben und Unternehmen zwingen, ihre Herangehensweisen an Komunikation und Rekrutierung deutlich zu überdenken.
Kununu war erst der Anfang
Wenn man sich einmal anschaut, was Vorreiter Google mit Big Data macht, dann steuern wir hier auf eine höchst transparente Welt zu. Wer also jetzt schon Probleme damit hat, was über sein Unternehmen auf Kununu und Glassdoor zu finden ist, dem dürfte einiges bevorstehen.
Beispiel gefällig? Mal einfach den nächsten Supermarkt googeln. Dort sehe ich nicht nur Adresse und Öffnungszeiten, sondern auch Bewertungen und eine Info, zu welcher Zeit die meisten Kunden dort shoppen. Google ist also längst mehr als reiner Index von Webseiten, sondern stellt auch immer öfter eigene Daten zur Verfügung.
Und Google sammelt fleißig weiter Unmengen an Informationen. Was, wenn nach Geschäften als nächstes Unternehmen dran sind?
Google als das nächste Kununu/Glassdoor?
Es ist nicht abwegig, dass Google den Markt Arbeitgeberbewertungen bedienen wird. Schon jetzt werden z.B. Gehaltsinfos dargestellt.
Und Google weiß auch längst, wo nahezu jeder Mensch, der ein Smartphone besitzt, arbeitet. Man könnte als sehr gezielt Nutzer ansprechen und muss sich nicht irgendwelcher mehr oder weniger gelungener Mailings bedienen. Google hat dafür längst eine eigene App, die für solche Umfragen auch ein paar Cent in Form von App-Guthaben spendiert.
Nicht nur Kununus Geschäftsmodell wäre wohl in wenigen Wochen zugrunde gerichtet, auch die Arbeitgeber müssten sich darauf einstellen, dass Bewertungen nun direkt in den Google-Ergebnissen angezeigt werden – und damit ein noch größeres Publikum finden werden.
Welt der unbegrenzten Möglichkeiten
Vor einer Weile habe ich mal mit jemand gesprochen, der u.a. Mark Zuckerberg persönlich kennt. Er erzählte mir, dass es in Silicon Valley erst einmal wenig interessiert, was sich User wünschen. Stattdessen wird dort radikal umgesetzt, was technisch im Rahmen des aktuell Machbaren ist und dann getestet, ob es der Kunde einsetzt. Nur so entstanden neue Technologien, von denen wir vor fünf Jahren noch nicht ahnten, dass wir sie jemals vermissen würden.
Nehmen wir also mal diese Mentalität und schauen, was technisch noch machbar wäre.
Allein Geodaten (die heute quasi jedes Smartphone sammelt und überträgt) sind eine unfassbare Fundgrube. Aus der vermeintlich einfachen Information, wo und zu welcher Zeit ich meinen Tag verbringe, lassen sich unheimlich viele Schlüsse ziehen: Wie lange pendelt jeder Mitarbeiter täglich, wie lange wird dort täglich gearbeitet, wie hoch ist die Fluktuationsrate im Unternehmen, wie üblich sind Einsätze im Außendienst, gibt es eine Kantine im Haus?
Und nun verknüpfen wir diese Geodaten mit Biodaten, die meine Smartwatch erfasst und ebenfalls überträgt. Und schon kann man mittels Pulsfrequenz und Standort auswerten, wie gestresst Menschen sind, wenn sie sich an ihrem Arbeitsplatz befinden. Technisch möglich, für Bewerber interessant, in Zukunft also vielleicht auch direkt in den Google-Suchergebnissen zum eigenen Unternehmen.
Employer Branding unter Beschuss
In einer solch transparenten Welt wird der Impact einer starken Employer Brand immer geringer, denn Kandidaten können rasch den Wahrheitsgehalt einer EVP durchleuchten. Was ist alles Marketing wert, wenn jeder das „Sein“ hinter dem „Schein“ mit einer Frage in sein Smartphone durchblicken kann? Da hilft dann auch kein Arbeitgebersiegel mehr.
Besonders hart wird das Unternehmen treffen, deren größtes Kapital auf dem Arbeitsmarkt ihr tolles Produkt ist. Die Digitalisierung wird also die oft gepredigte Authentizität in der Kommunikation mit einer Konsequenz erzwingen, der sich viele bisher noch entziehen konnten.
Personalmarketing unter der Lupe
Die Arbeitgebermarke eines Unternehmens wird jedoch nicht nur in der Gegenüberstellung mit Daten angegriffen, sondern auch Marketingmaßnahmen werden künftig digital unter die Lupe genommen werden – nämlich wenn sich Bewerber plötzlich Tools bedienen, die ursprünglich für u.a. Recruiter konzipiert waren. Die Analyse von Stimme und Mimik, bisher eher Werkzeug von Polizei und Geheimdiensten, kann mittlerweile jedes Smartphone erledigen.
Mit der passenden Software könnte also künftig jeder Bewerber einmal die Whatchado-Videos seines Wunsch-Arbeitgebers durch den Lügendetektor laufen lassen. Ob dabei dann Aussagen zur fantastischen Work-Life-Balance, der super Entwicklungsmöglichkeiten und dem netten Chef Bestand haben werden?
Active Sourcing umgedreht
Einhergehend mit der Fülle an Daten, die Jobsuchenden künftig zur Verfügung stehen wird, verändern sich auch die Möglichkeiten der Stellensuche. Was etwa wenn Bewerber sich der Mittel des Active Sourcings bedienen?
Schon jetzt bieten Plattformen wie Opportunity die Möglichkeit, sich Recruiter passend zu seinen Karrierewünschen suchen zu lassen. Hochqualifizierte, selbstbewusste Bewerber werden dann also nach dem Motto „hier bin, was habt ihr?“ beim Recruiter auf der virtuellen Matte stehen. Hierfür müssen Organisationen gerüstet sein, sonst verlieren sie gute Kandidaten. Und im Gegensatz um Active Sourcing müssen hier prinzipiell alle Personaler fit sein, denn darüber, wer angesprochen wird, entscheidet nicht mehr das Unternehmen, sondern Bewerber oder Algorhitmus.
Talk to the robot, the candidate ain’t listening
Jetzt klingt das erst einmal nach der bekannten Initiativbewerbung. Doch der digitalisierte Prozess endet nicht beim Finden eines Ansprechpartners. Ganz so, wie HR-Abteilungen künftig auf die Hilfe von Bots setzen wollen, so werden sich auch Bewerber dieses Werkzeugs bedienen können.
Gerade sehr gefragte Kandidaten können dann vollautomatisiert ihre Chancen am Arbeitsmarkt abchecken lassen. Der Bot findet passende Arbeitgeber, nimmt Kontakt auf, klärt wichtige Punkte und der Kandidat kommt dann erst zum späteren Zeitpunkt persönlich dazu, wenn es ihn benötigt. Im Bereich von Strom- und Handyverträgen sind ähnliche Systeme bereits Realität.
Strategie ist nicht genug
Sich als HR-Bereich eine Agenda für das Thema Digitalisierung zu setzen, ist wichtig. Doch viel wichtiger ist in meinen Augen, das nötige Mindset bei sich zu etablieren, um agil auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren zu können. Denn selbst die beste HR-Strategie wird sich noch stärker denn je den Anforderungen der Kandidaten und Entwicklungen des Markts (an digitalen Möglichkeiten) beugen müssen.
Das Tempo, in dem sich die digitale Welt derzeit außerhalb vieler traditioneller Unternehmen dreht, wird sonst einige abhängen, die sich mit neuen Tools doch vermeintlich bereit gemacht haben für die digitale Revolution.
Quelle: https://iiviipii.wordpress.com/2017/02/03/wie-kandidaten-hr-in-der-digitalisierung-abhaengen-werden/